Dasein bezeugt sich in überdauernder Anwesenheit
Alle Dinge, die man findet, strahlen aus, nicht nachweislich, nicht prüfend wahrnehmbar, aber anrührend den, der ihnen unwillentlich geöffnet ist. Es setzt bei ihm einen gelassenen Blick voraus, einen Blick ohne Vorgefasstheiten, einen, der bereit ist für derart unwägbare Botschaften. Es mag der Blick eines Bauern sein, der auf das Erdreich gerichtet ist, das er mit seiner jährlich wiederholten und darin stets neuen Bearbeitung verändert, nach archaischen Gesetzen, denen, die das Richtige zum Ergebnis haben. Auch Fruchtbarkeit manifestiert sich durch Formen, die sie durchwest. Es mag aber auch, wie bei Franz Leinfelder, der Blick des Landvermessers sein, der der Masse, die sich vor ihm ausbreitet, durch das gerechte Maß auch die rechten Proportionen gibt. In seinem Fall akkumuliert sich die in sich ruhende Empfindlichkeit. Als Sohn eines Bauern hat er das Land auch in bäuerlicher Bearbeitung aus Eigenem erfahren. Und der Bauer, der sein Vater war, war zugleich ein fruchtbarer Maler, dem das Kunststudium so sehr die Maßstäbe für sein Tun bereitet hatte, dass er neben der bäuerlichen Arbeit die des Künstlers unbeirrt und ungebrochen zu leisten imstande war. Die notwendigen Dinge: Kandinsky sprach hinsichtlich der künstlerischen Rechtfertigung von der inneren Notwendigkeit. Nur dem Unkundigen mögen die Bedingungen der Arbeit auf dem Felde vage erscheinen, man bewegt sich innerhalb ungeschriebener Gesetze; dem Feldmesser sind sie für seine Sicht klar vorgegeben. Wenn er, wie hier, in einem Künstler sich ins Spiel bringt, so, wie beim Bauern, durch ein Gefühl für Ordnung, Zuordnung, Verhältnismäßigkeit, Proportion, nachbarschaftlicher Anrainung, das so intuitiv wie rechnerisch die Ausgewogenheit erspürt. Jedes Bildwerk, das derart entsteht, ist eine Setzung. Sei sie ins Große gespannt oder erfülle sie sich im Kleinen, sie hat den Anspruch, gültig zu sein.
Die Offenheit für den Impuls, in dem die Materialien ihre Wahl bestimmen, und das unbeirrbare Gespür für Maß und Ordnung während des Entstehungsprozesses sind die Vorgaben der Bildwerke von Franz Leinfelder. Holz, Metall, Glas, Textilstücke, die Funde finden zueinander und bilden schließlich einen reliefierten Körper, der, wie es bei jedem komplexen Organismus der Fall ist, die Einzelkräfte aufeinander abstimmt und zugleich summiert zu einer Wesenheit, der sie organisch-natürlich anzugehören scheinen: die ganze Kraft aus dem Zusammenspiel der einzelnen Kräfte. Sie sind nicht eigentlich dramatisch, sie ruhen in sich vermöge der Schwere, die ihnen in jedem ihrer Teile anhaftet; anstatt divergent sind sie gesammelt in dem Sinne, dass, wer in sich gesammelt ist, in sich ruht. Keine Wirbel, nichts Transitorisches, sondern eine Gegenwärtigkeit im Verharren. Man könnte es, im besten, umfassendsten, ins Geistige übertragenen Sinne, Feldarbeit nennen. Da bietet sich denn, jenseits aller Trendbewegungen, der Begriff der Zeitlosigkeit an. Franz Leinfelders Bildwerke sind nicht erzählerisch, das Anekdotische ist so gut wie nie im Spiel. Sie sind einfach da, so wie sie und der Künstler sich in ihre jeweilige Ordnung gefunden haben, und in dem Bewußtsein, dass Dasein sich bezeugt in überdauernder Anwesenheit. Man möchte meinen, sie sind, weil sie waren und wurden, und, kein Zweifel, sie werden sein vermöge der ihnen immanenten Lebenskraft. Es tut gut, in ihrer Anwesenheit behaust zu sein.
Franz Joseph van der Grinten
Mala / Lanzarote, den 4. Juli 2005