FRANZ LEINFELDER RELIEFCOLLAGEN

Eröffnungsrede zur Ausstellung

FRANZ LEINFELDER RELIEFCOLLAGEN

in der Galerie Remise DEGEWO am 8. Juni 2010 in Berlin

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Als ich am Sonntagmittag diese Ausstellungsräume betrat, vermittelte sich mir zunächst ein fast sakraler Eindruck, was nicht mit dem Zeitpunkt des Besuches zusammenhing. Die streng geformten Gestaltungsverdichtungen von Franz Leinfelder entfachten in ihrer komprimierten Schwere wie von selbst so etwas wie die Aufforderung zum kurzzeitigen Innehalten, um diesen bildnerischen Anstößen eine eigene Gefühlsenergie entgegensetzen zu können. In solchen Vorgängen sind Wertigkeiten enthalten, die mit übergreifenden, aus der sichtbaren Realität herausgelösten Wirkungen zu tun haben und uns als stimmungsgebundene Kraft unvermittelt erfassen können. Das lässt sich als sakral, meditativ oder einfach nur als suggestiv bezeichnen – in jedem Fall wird in uns etwas wachgerufen, was eine eigenartige innere Spannung auf den Plan holt. Eine schwer zu beschreibende emotionale Größe mithin, der man sich öffnen oder verweigern kann, die aber jeden von uns tangiert.

Doch die Assemblagen und Skulpturen des 1941 in Solingen geborenen Franz Leinfelder, der schon im Elternhaus erste künstlerische Anregungen erhielt – sein Vater war Landwirt und Kunstmaler – offenbaren in ihrer Struktur zugleich so etwas wie ein wirklich greifbares Gegenmoment, das die anfangs geschilderte Wirkung nicht unterläuft, sondern sogar tragfähiger erscheinen lässt. Denn der seit 45 Jahren als selbstständiger Vermessungsingenieur und Künstler arbeitende Leinfelder fügt seine emblematischen Gestaltungen weitgehend aus Fundstücken zusammen, die in ihrer realen Herkunft meist noch erkennbar bleiben und damit deutlich auf die wunderbare Macht des Spielerischen verweisen. Dieses Gleichsam absichtslose Finden und Neugruppieren aufgesammelter Gegenstandsrelikte, das seit dem Dadaismus, seit Kurt Schwitters und Max Ernst zur legitimen Größe in der Kunst avancierte, bildet gewissermaßen die grundlegende künstlerische Gestaltungsebene des in Langenfeld bei Köln tätigen Monteurs.

In der Verwandlung von Restbeständen aus den handwerklichen, technischen oder auch aus natürlichen Bereichen in freie Materialkompositionen besteht für ihn die eigentliche kreative Intention. Und so werden wir bei der Betrachtung seiner Arbeiten immer wieder an das Strandgut des Alltäglichen erinnert, das sich hier auf überraschende Weise zu neuen Gefügen zusammenschließt und seine spezifische, zeichenhafte Ausdruckskraft entwickelt. Die Teilelemente – meist bearbeitete Hölzer verschiedner Prägung – erscheinen uns vertraut und doch bewirkt die neuformierte Konstellation eine unvermutete Entrückung des Gewohnten in die Distanz einer eigenen Kunstsphäre.

Dieses Wechselspiel bleibt während der Beschäftigung mit den Werken permanent erhalten, lässt diese Grenzüberschreitung stets neu erleben und versinnlicht damit zugleich dieses ständige Kippen von Nähe und Ferne und umgekehrt, was die Relativität unserer Wahrnehmung deutlich aufzeigt. Auch das Spielerische übrigens lässt sich ähnlich wie das Sakrale oder Suggestive als eine Wertigkeit bezeichnen, die übergreifend auch nicht ohne weiteres definierbar die unterschiedlichsten Möglichkeiten des Umgangs mit Realität phantasievoll auslotet und daraus neue Gestaltfindungen gewinnt. Die Kunst – aber nicht nur sie – lebt in besonderem Maße von dieser Imagination, nicht dagewesenen Vorstellungen tatsächliche Existenz zu verleihen.

Wie nun lässt sich diese Relief- und Körperwelt von Franz Leinfelder charakterisieren?
Ich sprach anfangs von den streng geformten Gestaltungsverdichtungen, die der Künstler zur Anschauung bringt. Er erreicht diese verknappte Wirkung, indem er mit wenigen Grundelementen meist gegenläufige Richtungen markiert. Diese Hauptakzente werden oft zu Kreuzformen verschrankt, stoßen wiederholt mit der dynamischen Diagonale in den Bildraum vor oder auch darüber hinaus oder rhythmisieren in taktartigen Reihungen die Fläche in Gänze bzw. in Teilpartien. Leinfelder ist ein Mann der Stückung – die meist unbearbeiteten, zuweilen farbig gefassten Elemente rücken dicht zusammen, geben sich gegenseitig Halt und lassen so eine neue Gestaltformation entstehen, die trotz der technischen Herkunft ein fast organisch wirkendes Zeichengebilde schafft. Ballungen wechseln mit offenen Flächenzonen, fragmentierte Formen stehen geometrischen Ausprägungen gegenüber und alles weitet sich zu einer Art Aufriß, der an Luftaufnahmen von der Erdoberfläche erinnert.

In einem 2002 geschriebenen Beitrag für Franz Leinfelder habe ich seine Arbeiten als „Feld
– Zeichen“ charakterisiert, deren Gründe in der Ebene angesiedelt zu sein scheinen und damit eine räumlich unmessbare Dimension einbringen. Aber ebenso könnte man auch von „Wand
– Zeichen“ sprechen, die die vertikale Abschirmung ein Stück weit zurücktreten lassen und freie Assoziationen heraufspülen. Der Grundimpetus seiner Kunst liegt in der Entgegensetzung von zwei konträren Tendenzen: Auf der einen Seite spüren wir die ganz starke, beinahe ornamentale Einbindung der ausflüchtenden Kräfte, andererseits aber bemerken wir die weite Öffnung des Anschauungsfeldes ins Unbegrenzte hinein. Dieser Konflikt lädt die letztlich sehr einfach anmutenden Werke von Franz Leinfelder mit einer eigenen elementaren Spannung auf, die in bewegter Form das „Sakrale“ mit dem Spielerischen verschwistert.

Die Beschäftigung mit den Arbeiten von Franz Leinfelder aber wäre unvollständig, wenn nicht ein wesentliches, hintergründiges Moment seiner Gestaltungsweise genannt würde – der Humor. Es gibt bei ihm einige Figurationen, die ganz von diesem verschmitzten Lächeln getragen werden – wie etwa der vor uns sitzende „Haans“, der an Karikaturen und Comics denken lässt. Aber auch in der jüngst entstandenen Serie der „Masken“, die ihrerseits auf archaische Bezüge in seinem Schaffen verweisen, bleibt diese erstaunte Identifizierung der „Gesichtigkeiten“ von einem Wiedererkennungseffekt begleitet, der Spiel und Ernst gemeinsam in eine verfremdete Synthese hineinfließen lässt. War schon in den Assemblagen und Skulpturen der Reiz der Verwandlung ein mitbeteiligtes Moment, so prägt in diesen skurrilen Masken jene Zweideutigkeit vollends die groteske Wirkung. Geisterwelten scheine mit eigener Magie in unser rationalisiertes Seinsverhältnis hineinzudrängen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit einem Zitat des indischen, in München lebenden Philosophen Pravu Mazumdar, der im vorigen Jahr Leinfelders Masken sehr gut deutete und dabei auch etwas berührte, was den Arbeiten des Künstlers generell eigen ist: „Leinfelders Gesichter-Zyklus kehrt nun diese archaische Bewegung um. Ursprung der Gesichter ist nicht der Götterhimmel der Masken, sondern die Erde des Menschen und menschliche Artefakte. Werden diese nun als Fundstücke aus der Erde geborgen, so geraten sie in einen Sog der Gesichtwerdung, dessen jähe Bremsung genau das offenbart, was das Gesicht, jedes Gesicht wirklich ist: eine Collage oder Konstruktion des Seelischen, aber nicht aus Nase, Augen, Brauen, Kiefer, Mund, sondern aus Pinsel, Spaten, Röhre, Wasserhahn, Sonnenbrille, Hufeisen. Lauter Artefakte, die einander näher gebracht werden, bis sie erkennbare Gesichts – Bilder ergeben, als Kristallisationen seelischer Zustände und als Bausteine wirklicher Gesichter …“

Schönen Dank!

Dr. Fritz Jacobi, Kunsthistoriker, Berlin.