Von Masken und Gesichtern.
Anmerkungen zu Franz Leinfelders „Gesichter-Zyklus“
Der Herr, dessen Orakel zu Delphi ist,
spricht nicht aus und verbirgt nicht,
sondern gibt ein Zeichen. (Heraklit)
Franz Leinfelders Gesichter evozieren das Bild der Wiederkehr der
Masken, allerdings in der Weise der Verkehrung des Zwecks ihrer
archaischen Bewegung. Man denkt an einen Schwarm fallender Masken,
die auf die Erde aufschlagen und zerspringen. Ein Nebel aus Scherben
steigt aus der Erde in die Luft und nähert sich wieder jenem Himmel,
in dem sich eins die Masken von den Gesichtern der Götter gelöst
haben. Doch ehe die Nähe der Götter die Scherben erneut zu
Gesichts-Bildern fügen kann, wird die Bewegung eingefroren.
Die Bruchstücke zögern einen Augenblick lang und ergeben das
Zwischenbild einer Collage, die ein Doppeltes sichtbar macht:
ihre Herkunft als Fund- und Bruchstücke; und ihre Zukunft als wieder
hergestellte Gesichter.
Leinfelders Gesichter-Zyklus erscheint als ein eingefrorener Augenblick
der mythischen Bewegung von Masken zwischen Himmel und Erde.
Masken sind so etwas wie platonische Apparate. In dem sie ein
Gesicht mit einem Bild überziehen, erzeugen sie eine Dualität aus
unsichtbaren Wesen und sichtbarer Erscheinung. Damit schaffen sie
den Effekt eines verborgenen Wesens, das mit der Souveränität
eines Königs oder der Transzendenz eines Gottes ausgestattet sein
kann. Aller königlicher Prunk, alle bürgerlichen Vorhänge generieren
einen mit Anziehungskraft aufgeladenen unsichtbaren Wesenshintergrund.
doch vermögen Masken solchen Effekt nur anhand ihrer eigenen Sichtbarkeit
zu zeitigen. Denn sie sind ihrerseits so etwas wie sichtbare und tragbare
Gesichter. Ein maskiertes Individuum trägt – anstelle verstreuter Ornamente
als Insignien archaischer Macht – ein idealisiertes Gesicht, das als ein
einziges Ornament funktioniert.
Das Masken verbergen, ist also nur die eine Seite der Macht.
Die andere Seite ist, dass sie Gesichter verleihen, die, wie jeder archaische
Schmuck, auch dämonische Eigenschaften übertragen können.
So vervielfältigt eine Maske das Gesicht, in dem es ein anderes, weiteres
Gesicht zum Vorschein bringt und damit die bloße Erfahrung des Gesichts
steigert. Was sie aber dabei unangetastet lässt, ist das Prinzip Gesicht,
verstanden im antiken Sinne als das Tor zur Seele. Es ist als würden die
Masken vom Himmel herab flattern: als göttlich-ideale Bilder des
Seelischen.
Leinfelders Gesichter-Zyklus kehrt nun diese archaische Bewegung um.
Ursprung der Gesichter ist nicht der Götterhimmel der Masken, sondern der
Erde des Menschen und menschlicher Artefakte. Werden diese nun als
Fundstücke aus der Erde geborgen, so geraten sie in den Sog der Gesicht-
werdung, dessen jähe Bremsung genau das offenbart, was das Gesicht,
jedes Gesicht wirklich ist: eine Collage oder Konstruktion des Seelischen,
aber nicht aus Nase, Augen, Brauen, Kiefer, Mund, sondern aus Pinsel,
Spaten, Röhre, Wasserhahn, Sonnenbrille. Lauter Artefakte, die
einander näher gebracht werden, bis sie erkennbare Gesichts-Bilder ergeben:
als Kristallisationen seelischer Zustände und als Bausteine wirklicher Gesichter
die unter Titeln wie „Medea“, „Lost in Complexion“, „Fatima unveiled“, „Othello“
physiognomische Archetypen darstellen und maskenartiges inszenieren.
Somit dokumentiert Leinfelders Gesichter-Zyklus den Unterschied zwischen
Masken und Gesichtern und offenbart ihren archaischen Kreislauf aus Fall,
Aufprall, Zerspringen, Aufstieg und erneuter Sammlung zu Gesichtern,
Leinfelders „Gesichter“ sind gleichsam Stationen einer Denkbewegung,
die den Prozess der Säkularisierung von Masken nachzeichnet und den
mythisch-theologischen Abstieg von Masken in einen anthropologischen
Aufstieg zu „Gesichtern“ wendet.
Pravu Mazumdar